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Edelgard Struss

Busfahrer

   Ein Geisterbus kurvt durch Wien. Er fährt leer, jeden Tag, für alle Zeit dazu verdammt, nutzlos kreuz und quer durch die Stadt zu eiern. Es werden keine Passagiere befördert. Sonderfahrt, bitte nicht zusteigen, steht auf der Digitalanzeige an der Busfront, und man hält sich daran, die Türen würden sich auch gar nicht öffnen. Sein Fahrer rückt sich die Schirmkappe zurecht, legt den höheren Gang ein, ihm ist das alles herzlich egal, dem Umstand, bisher nichts als Luft, mal trockene, mal eisigkalte, mal abgestandene, mal beinah undurchsichtige, aber immer nur Luft transportiert zu haben, begegnet er mit Gelassenheit. Es gibt zwei Stationen, zwischen diesen beiden geht es im Halbstundentakt hin und her. Seit Bestehen dieser Route, seit wie vielen Jahren, stieg noch nie jemand ein. Den Fahrer kümmert das nicht. Er verfügt über ein regelmäßiges Einkommen, das ist die Hauptsache. Da wird es einen reichen Spinner geben, vermutet er, der nicht weiß, was anfangen mit all dem Überschuss, dem Zinseszins eines waghalsigen Aktienpakets, leistet man sich eben diesen Bus, warum nicht? Vier Personen wechseln sich im Rotationsdienst ab, drei Männer und eine Frau, allesamt solide ausgebildete Chauffeure, abgeworben von den Wiener Linien, um viele Kubikmeter Stille zu transportieren, ein Vielfaches zu verdienen. Luft und Stille, nicht die schlechteste Ladung. Seine Arbeitsschicht wird bald um sein. Er liebt seinen Beruf. Gerne auch übernimmt er Nachtdienste oder ein paar Fuhren am Wochenende, wegen des Zuschlags. Seine Anstellung erlaubt ihm bescheidenen Luxus, den er freudig mit seiner Familie teilen kann, der treuen Frau und den bildhübschen Töchtern. Irgendwann, denkt er, wird jemand zusteigen, ein sehr wichtiger Fahrgast, die eine Person, auf die wir alle gewartet haben, du spinnst, sagen seine Kollegen, da kommt niemand, nie, aber ihr werdet schon sehen, ja, ihr werdet euch noch wundern, eines Tages drückt ein Mensch auf den Knopf und wir öffnen, und ein jungfräulicher Sitzbezug wird warmen Hintern schmecken. Doch bis es so weit ist, wird er fahren und keine Fragen stellen, hat er sich vorgenommen. Solange der Dauerauftrag läuft und mir monatlich die Summe überwiesen wird, die mir zusteht. Bisher ging alles reibungslos. Er biegt ab. Im Moment läuft es gut, er scheint eine lang anhaltende Glückssträhne zu haben. Die Familie lässt sich problemlos ernähren, seinen Töchtern gelingen schulische und sportliche Erfolge, was sich einmal ändern wird, aber er macht sich keinen Kopf. Heimlich steckt er ihnen Extrascheine zu, wenn ein Kinoabend ansteht, die Große ist jetzt in dem Alter, fünfzehn, die jüngere zwölf, will selbstverständlich mitgehen, die von der Älteren erkämpften Ausgehzeiten und Vereinbarungen gleichermaßen in Anspruch nehmen, bald kommen die Trinkregeln, das Mitbringen verschwitzter Pickelgesichter, halb so wild. Der Bus hält. Hier ist seine Station. Im Rückspiegel tut sich nicht viel: Ein Radfahrer pirscht sich heran, dreht dann ab. Ein Krückenmann verhakt sich an der Gehsteigkante, ihm wird geholfen. Niemand drückt auf den Knopf. Irgendwann, denkt der Fahrer, man wird es dann schon im Voraus spüren, ein Bauchgefühl haben, ich werde es sein, er nickt lächelnd, ich werde Dienst haben, wenn es geschieht, nicht die ungläubigen anderen. Bis dahin wird er fahren, die Fragezeichen mit sich selbst ausdiskutieren, fahren, sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halten, die anderen Verkehrsteilnehmer achten, Vorrang geben, Rücksicht nehmen, sich vorbildlich verhalten, schonend lenken, als säßen hinten zwanzig gläserne Kinder, der Mann wird schweigend fahren, immer zwischen den Adressen hin und her.

 
S. 176 - 179 aus: Lukas Meschik, Luzidin oder Die Stille. Roman. Salzburg und Wien: Jung und Jung 2012 – Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors