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Edelgard Struss

Dienstmädchen

   "Am nächsten Tag habe ich den Koffer gepackt und bin nach St. Ulrich gegangen. Ich war dreißig Jahre alt und sollte zum ersten Mal einen Lohn bekommen. Zwar waren es nur 70 Schilling im Monat, aber auch die Krankenkasse würde für mich bezahlt werden, und wie sich herausstellte, erhielt ich etwas Trinkgeld. Ich schlief im Dachbodenzimmer und hatte die verschiedensten Arbeiten zu verrichten. In der Früh durfte ich jeden Tag zur 6-Uhr-Messe, dann hatte ich das Frühstück zu richten, die Nachttöpfe des Pfarrers und der Köchin zu entleeren, die Betten zu machen, aufzuräumen, Wäsche zu waschen, zu bügeln und für den Garten zu sorgen. Auch musste ich der Köchin die Haare flechten, den Herd putzen, Geschirr, waschen, backen und das Essen austragen. Nie kam ich vor acht Uhr abends ins Bett, nie stand ich nach fünf Uhr morgens auf (sonntags schon um vier, da ich die Messing- und Chrombeschläge des Küchenherdes reinigen musste). Dafür hatte ich dann am Nachmittag frei: Urlaub war keiner vorgesehen, nur an meinem Namenstag durfte ich, sobald ich das Mittagsgeschirr gewaschen hatte, nach Hause gehen."

 
S. 103 aus: Gerhard Roth, Landläufiger Tod. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1984 Alle Rechte vorbehalten – Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags