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Edelgard Struss

Proctor (Anwalt an einem Spezialgericht)

   In den Commons trieben sich Leute herum, die, ohne selbst Proctoren zu sein, doch in Rechtsgeschäften pfuschten und sich zu deren Besorgung gegen eine Entschädigung die Namen von wirklichen Proctoren liehen; und leider gab es sehr viele solche Leute. Da unsere Firma jetzt Beschäftigung um jeden Preis bedurfte, verbanden wir uns mit dieser noblen Schar und suchten durch allerlei Verlockungen diese Mittelspersonen zu bewegen, uns Arbeit zu verschaffen. Heiratskonsense und die Bestätigung kleinerer Testamente waren uns das liebste und lohnten am besten, und um sie bewarben wir uns höchst lebhaft. In allen Eingängen der Commons lauerten Aufpasser mit der strengsten Instruktion, alle Personen in Trauer und alle Herren, die etwas verschämt aussahen, anzufallen und sie nach den Bureaus zu bringen, für die ihre Auftraggeber Geschäfte betrieben. So gut wurden diese Instruktionen beobachtet, daß ich selbst, ehe man mich kannte, zweimal in die Kanzlei unseres Hauptgegners geschleppt wurde. Da die entgegengesetzten Interessen dieser wackeren Herren selbstverständlich geeignet waren, die Gefühle in Aufregung zu versetzen, so waren Kollisionen nicht selten; und zur Schmach der Commons ging unser 'Hauptangler' (der früher in der Weinbranche, später vereidigter Makler gewesen war) tagelang mit einem blauen Auge umher. Jeder dieser Späher trug nicht das mindeste Bedenken, einer alten Dame in Trauer höflich aus dem Wagen zu helfen, jeden Proctor, nach dem sie fragte, für tot zu erklären, seinen Brotherrn als den rechtmäßigen Nachfolger dieses Proctors hinzustellen und die alte Dame ganz ergriffen in die Kanzlei seines Prinzipals zu führen. Hinsichtlich der Heiratskonsense war der Wetteifer so groß, daß einem schüchternen Herrn, der einen solchen Schein brauchte, nichts anderes übrigblieb, als sich entweder dem ersten Werber willig zu ergeben oder um sich boxen zu lassen und die Beute des Stärksten zu werden. Einer unserer Schreiber, auch ein Zutreiber, pflegte im kritischsten Moment eines solchen Kampfes mit dem Hut auf dem Kopfe dazusitzen, um hinzustürzen und das Opfer, das hereingebracht wurde, vor einem Stellvertreter der Geistlichkeit vereidigen zu können. Ich glaube, dieses System des Einfangens besteht jetzt noch. Als ich das letzte Mal in den Commons war, stürzte ein höflicher, kräftiger Mann in einer weißen Schürze unter einem Torweg hervor auf mich los, flüsterte mir das Wort "Heiratskonsens?" ins Ohr und war nur schwer abzuhalten, mich in seine Arme zu nehmen und zu einem Proctor zu tragen.

 
S. 787 - 788 aus: Charles Dickens, David Copperfield. London 1852. Text nicht mehr urheberrechtlich geschützt, zitiert nach der Ausgabe von 1983, Insel Verlag.