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Edelgard Struss

Sisyphus

   Denken wir an den Fall Sisyphus. Da fühlte sich, in einer Zeit zurückgebliebener Technik, ein Mann gedrängt, einen schweren Stein, wahrscheinlich zum Bau eines Hauses, vielleicht auch zu Rekordzwecken, einen Berg heraufzuwälzen. Da der Mann kräftig und hartnäckig war, gelang es ihm bis zu einer gewissen Höhe. Dann entglitt ihm der Stein und rollte abwärts. Der Mann ließ sich nicht entmutigen, arbeitete fort und fort, vergaß im Laufe der Zeit völlig darüber die Grundsteinlegung des Hauses beziehungsweise den Rekordplan. Er kam einfach in ein sinnloses stumpfes Hochschieben, bei einer gewissen Höhe [er wußte es schon vorher] rutschte der Stein zur Seite, Kismet, sagte der Ergebene, machte kehrt, trollte abwärts und fing von neuem an. Der Stein, der Berg, der Mann hatten sich schließlich so miteinander befreundet, daß sie sich ohne einander nicht denken konnten. Aber daß die Situation des Mannes schön war, kann man nicht behaupten, wenngleich sie nicht so schlimm war, wie die behaupten, die aus Sisyphus einen gequälten Büßer machen. Er war ein Opfer des Anfangs und des Fortgangs.

 
S. 298 – 299 aus: Alfred Döblin: Babylonische Wandrung. Roman. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1982 (1934), © Olten: Walter-Verlag 1962. Text nicht mehr urheberrechtlich geschützt