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Edelgard Struss

Tanzlehrer

   Der Tanzlehrer pries ihm in dem abgenutzten Unterrichtssälchen einen Sonderzirkel zu erhöhten Preisen an, in dem Mädchen mit großer Mitgift unter seiner Leitung die ersten Schritte unternähmen. Zahlen wurden genannt, die Glück verhießen. Da Ginster mit den Zahlen nicht umgehen konnte, entschied er sich für den billigeren allgemeinen Kursus. Geringschätzig schleifte der Tanzlehrer eine halbe Stunde durchs Sälchen; Ginster ihm nach. Die Schritte waren des niedrigen Honorars wegen der letzten Feinheit beraubt. An dem Fenster stand eine mürrische Frau ohne Gesicht. Ginster vermied es, sie anzusehen, wenn er hinter dem Tanzlehrer an ihr vorüberkam. Er achtete aufmerksam auf das Schlenkern vor ihm und schlenkerte auch. Hätte ihn der Tanzlehrer entführen wollen, so wäre er ihm willenlos gefolgt, immer schlenkernd aus dem Sälchen heraus. Das eine Paar Beine war magnetisch mit dem andern verknüpft; zusammen vier Beine, parallel ohne Ziel.

 
S. 29 aus: Siegfried Kracauer, Ginster. Roman. © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2013; Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlags.