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Edelgard Struss

Abschleppwagen-Fahrer

 

Im Dienst der Straße
Eindrücke aus dem Alltag eines Abschleppwagen-Fahrers

    Schlepperkapitän im Hamburger Hafen, das wär's, phantasierte annodazumal der Knirps von 10. Große Pötte bugsieren an Piers und Landungsbrücken. Wie immer kommt es anders als im Kindskopf erträumt. Das berufliche Umfeld wurden Zeitungsredaktionen, diverse Radiostudios und letztendlich das Büro des Nachrichtenchefs beim Deutschlandfunk in Köln, dem nationalen Informationssender.
Der Ruhestand kam, die Langeweile auch. Was tun? Schleppen! Nicht Schiffe auf dem Wasser, Autos auf und von der Straße. Hauptsache das Klima ist rau. Wenn schon nicht auf See, dann wenigstens im Straßenverkehr. Der Fahrer eines Abschleppwagens im Auftrag des ADAC darf nicht zimperlich sein. Zum Aufladen eines Pannenfahrzeugs muss er schon mal kurzfristig die Straße blockieren. Aus der Warteschlange schallen Wut und Empörung entgegen. „Unverschämt, wie lange dauert das denn noch“? Jetzt heißt es ruhig bleiben, freundlich lächeln, unbeirrt den defekten Wagen bergen und sich mit einer Handbewegung für das „Verständnis“ bedanken. Oft sehr rau geht es bekanntlich mit Drängelei auf Autobahnen zu. Plötzlich hat es gekracht, der Riesenstau ist unvermeidlich. Der Abschleppwagen wirkt nun wie der Heilsbringer. Bereitwillig wird er vor- und durchgelassen. Die möglichst schnelle Räumung der Unfallstelle macht schließlich die Blechschlange wieder automobil.
Die Tätigkeit des Abschleppers ist kein Lehrberuf. Handwerkliches Geschick ist Voraussetzung. Doch erst die Praxis bringt's. Ein Griff in die wohl gehütete Trickkiste, und selbst ein schwer demolierter Schlitten rutscht auf das Plateau. Wachsame Augen beobachten oft die Aktion. Es sind die Peniblen. Sie empfinden jeden Kratzer im Lack als herben Schicksalsschlag. Gefragt ist ohnehin Einfühlungsvermögen im Umgang mit geschundenen Seelen gestrandeter Automobilisten. Das gilt besonders für Motorgeschädigte oder Unfallbeteiligte. Sie befürchten hohe Reparaturkosten und sind niedergeschlagen. Aufmunterung verspricht manchmal der Hinweis, zum Glück sei keinem Menschen etwas passiert. Es handele sich nur um einen Sachschaden.
Am Arbeitsplatz Straße spiegelt sich generell die Gesellschaft wider in unterschiedlichen Charakteren. Es gibt die Anmaßenden wie Dankbaren, die Redseligen wie Schweiger oder die Snobs wie vermeintliche Duzfreunde. Letztere erklären sich mit ständigem Schulterklopfen solidarisch mit der Arbeiterklasse. Dabei haben sie gleichzeitig ihren Vorteil im Blick. Sie wollen noch ein paar Umwege für persönliche Erledigungen gefahren werden. „Wir sind doch Kollegen, bleibt ja unter uns“! Die Snobs finden sich vorwiegend in Autohäusern von Premiummarken. Geschniegelt in feinem Zwirn beherrscht der eine oder andere Herr Verkäufer perfekt zwei Rollenspiele: vor der interessierten Autokundschaft wird gebuckelt und gesäuselt, dem Abschlepper aus der vermuteten Unterschicht wird mit herablassender Geste ohne jeden Blickkontakt klar gemacht, wo er gefälligst das Pannenfahrzeug abzustellen habe. An die Grenze der Zumutbarkeit stoßen ebenso die Redseligen mit einem ununterbrochenen Wortschwall sogar über intime Angelegenheiten wie Beziehungsstress mit der Partnerin, finanzielle Engpässe oder gesundheitliche Probleme. Geradezu eine Erholung für Ohr und Psyche sind die Schweiger. Sie reden kein Wort mit dem Fahrer. Es wird laufend telefoniert, im Internet gesurft, der Email-Eingang überprüft, überhaupt sehr wichtig getan und grundsätzlich desinteressiert geguckt. Bei den Anmaßenden paart sich Frechheit mit Ungeduld: „Da sind Sie ja endlich, wurde auch Zeit. Ich bin seit 25 Jahren Mitglied beim ADAC und habe einen Anspruch auf Soforthilfe. Es kann doch nicht sein, daß ich hier schon zwei Stunden stehe“. Die Dankbaren sind dagegen eine Wohltat für den Abschlepper, der von Einsatz zu Einsatz hetzt: „Wie schön, daß Sie kommen und mir helfen. Sie haben bestimmt viel zu tun und dann auch noch bei diesem fiesen Wetter“. Wenn doch nur jeder in der real existierenden Arbeitswelt so viel Mitgefühl hätte und mehr Ein-,Vor-, Nach-, Rücksicht aufböte, Abschlepper könnte ein Traumberuf sein.

 
Volkher Just 2013, Originaltext