Menu
Edelgard Struss

Hirschfänger

   Der Begriff steht zunächst für einen Revolver bzw. ein Jagdmesser zum Erlegen von Hirschen. Der bis zu 40 cm lange Dolch wurde in manchen Regionen auch als "Saumesser" bezeichnet, was Sprachforscher als Hinweis darauf interpretieren, dss das Gerät auch zum Töten und Ausweiden von Wildschweinen – einer frei lebenden Schweineart – verwandt wurde.
   Die Anwender des Gerätes üben den Beruf des Hirschfängers aus, obschon sie heute zum Töten moderneres Gerät verwenden – Jagdflinten mit Fernrohr und Zitterschutz für ältere Jäger –, um dem gefährlichen Nahkampf Mann gegen Hirsch zu vermeiden. Es hat sich nämlich gezeigt, dass mit der zunehmenden, dem Zeitgeist geschuldeten Verweichlichung der männlichen Jäger die Nahkampf-Überlegenheit des Hirsches immer deutlicher wurde, was zu schweren Personenschäden führte.
   Nachdem diese Risiken durch Vermeidung minimiert wurden, kann der Beruf des Hirschfängers (HF) grundsätzlich unbedenklich ist die Liste der Traumberufe aufgenommen werden. Der HF arbeitet grundsätzlich an bzw. in der frischen Waldesluft, da der Wald bevorzugter Aufenthaltsort des Hirsches ist. Tritt der Hirsch aus dem Schutz des Waldes hervor, weil bei seiner Aufzucht simpelste Vorsichtsmaßnahmen elterlicherseits versäumt wurden, erspäht selbst ein älterer sehstärkeeingeschränkter Waidmann ihn unschwer in einer Lichtung und bringt ihn per Gewehrschuss um.
   Sofern der HF eine hochgestellte Persönlichkeit (z.B. Staatsgast, wichtiger Konzernkunde etc.) ist und man ihm als Gastgeber auf der eigenen Jagd eine Freude bereiten will, kann dezent ein zweiter Schütze beigestellt werden, der das Tötungswerk dann so unauffällig vollendet, dass sich der Erst-Schütze selbst bei einem Fehlschuss in dem guten Glauben befinden kann, er habe getroffen und Anspruch auf die Trophäe, Geweih genannt. Bei dieser Hilfstötungstätigkeit kann auch der o.g. Hirschfänger in Dolchform durchaus zum Einsatz gelangen, weil dann kein zweiter Schuss erforderlich ist und die Illusion eines Treffers des Gast-HF noch gesicherter wird. Deutlich wird hier auch eine glückliche Verbindung des Einsatzes moderner Waffen, kundenorientierter Gastfreundlichkeit im Waldesgrund und Einsatz traditionellen Jagdgerätes.
   Damit ist der Traum noch nicht ganz erfüllt: Der HF wird entsprechend erkämpfte Beweise seiner Männlichkeit präparieren lassen und – sofern mindestens Zwölfender (s. dort) – an geeigneter Stelle in seinem Haus, bzw. seiner Villa aufhängen, gern auch im Schlafzimmer.
   Die Ausbildung zum HF regelt der Deutsche Jagdverband, in dem nur untadelige Waidmänner ihrem blutigen Handwerk zum Schutz des Wildes vor Übervölkerung, Hunger in bitterkalten Winterwochen und ähnliche Unbilden mutig und entschlossen nachgehen. Die HF-Ausbildung mündet in einer mündlichen, schriftlichen und praktischen Prüfung. Berichte, der danach ausgehändigte Jagdschein könne auch auf andere Art erworben werden, müssen als Versuch der Verunglimpfung eines ehrenwerten Berufsstandes auf das Schärfte verurteilt und strafrechtlich geahndet werden. Von daher haftet dem HF ein traumhaftes Image an. Es ist dabei bedauerlich, daß Hirsche zunehmend in Gehegen und Tierparks gehalten werden, wo sie der Erbauung des Publikums wie im Zoo dienen. Dort vorgenommene Schlachtungen, die sei hier ausdrücklich hervorgehoben, zählen nicht zum anerkannten Tätigkeitsbereich eines echten HF.

 
Arno Christiansen 2008 (unveröffentlicht); Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors