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Edelgard Struss

Prostituierte

LAO WEI: Vor einiger Zeit gab es Zeitungsberichte, wonach in einigen Gebieten in Sichuan die Finanzämter versuchten, von den Dreiservicemädchen Einkommensteuer zu erheben, das schlug in der Gesellschaft hohe Wellen, eine ganze Reihe von Spezialisten für gesellschaftliche und rechtliche Fragen nahmen an der Diskussion teil. Was halten Sie davon? Wollen Sie Steuern zahlen?

FRÄULEIN WANG: Ja, das will ich! Die Belastungen des Finanzministeriums sind so groß, viele Leute ohne Job bekommen nur ein paar hundert Yuan Unterstützung, da müssen Leute wie ich mit einem hohen Einkommen ihrer Pflicht nachkommen. Außerdem, sobald ich Steuern zahle, wird auch meine Beschäftigung legalisiert, dann gibt es keine Säuberungsaktionen mehr, dann muß man sich keine Sorgen mehr machen. Um das Prozedere zu erleichtern, sollten wir einen Gewerbeschein bekommen, zumindest aber sollte es einen Gesundheits- oder Hygieneausweis geben. Erst nach einer Untersuchung im Krankenhaus und wenn der Körper den Vorgaben entspricht, sollte man die Erlaubnis bekommen, unserer Arbeit nachzugehen.

Im Ausland weist man Rotlichtviertel aus, und wer jenseits davon dieser Tätigkeit nachgeht, ist illegal. Aber wir als sozialistisches Land können so etwas nicht machen, das ist eine Frage des Images.

LAO WEI: Haben Sie noch nie daran gedacht, in Zukunft etwas anderes zu machen?

FRÄULEIN WANG: Wie sollte ich nicht? Aber nur wenn ich hinterher irgendwohin gehe, wo meine Umgebung meine Geschichte nicht kennt. Ideal wäre es, dort, wo man mich nicht kennt, dem Traumprinzen auf dem weißen Pferd zu begegnen, da würde ich mich bestimmt in einer anderen Aufmachung präsentieren und ein neuer Mensch werden. Die Medizin ist heute so weit, dass es leicht ist, sich wieder zur Jungfrau machen zu lassen. Trotzdem, das sagt sich so leicht, so leicht ist es aber nicht. Ich bin noch keine 21, aber über mich sind schon Hunderte und Tausende von Männern drüber, ich bin längst abgestumpft. In wen könnte ich mich noch verlieben? Außerdem, wenn man irgendwo lange war und woanders neu anfängt, gibt es wieder jede Menge von realen Problemen - ich fühle mich schon leer und verloren, wenn ich diese Kneipe verlasse, von Chengdu gar nicht zu reden.

LAO WEI: Wenn Sie das schon eine Reihe von Jahren machen, müßten Sie doch auch einige Rücklagen haben. Sie könnten für eine Weile aufhören und ein anderes Leben versuchen.

FRÄULEIN WANG: Wie man lebt, ist nicht wichtig, der Knackpunkt ist, daß Arbeit schwer zu finden ist. Ohne das Nötigste für den Tag zu haben, kann man nicht einfach ans Eingemachte gehen. Jede Zeit hat ihre Opfer, wir haben unseren Anteil bezahlt, die nächste Generation hat es besser.

 
S. 102 aus: Liao Yiwu alias "Lao Wei", Dreifachfräulein. In: Lettre International Nr. 80, Frühjahr 2008
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags: www.lettre.de