Toilettentester und Waschraumexperte
Ladislaus ist Toilettentester und Waschraumexperte. […] Seine Aufgabe besteht darin, Toilettentests durchzuführen und Waschraumexpertisen zu erstellen. Man verdient nicht besonders, dieser Beruf ist kein Goldesel, den man am Schwanz zieht, man kann jedoch, bei entsprechender Interessenlage, darin aufgehen, die Geborgenheit des Fachgebiets spüren, die Aufgehobenheit im Spezialistentum. Obwohl er diese Tätigkeit schon viele Jahre ausübt, ist ihm das Verfassen der Berichte nie zum Ärgernis geworden. Jede neue Toilette betritt er mit Elan und aktivierten Sinnen. Er ist ein kleines Rädchen in der Nasszellenabteilung der Firma, arbeitet sich langsam hoch, gräbt sich frei, bis ganz hinauf zur Position des Abteilungsleiters mit eigenem Kühlschrank und ledernem Drehstuhl.
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Ladislaus Kampf hat dafür zu sorgen, dass die Firma auch weiterhin Marktführer bleibt. Er spioniert bei der Konkurrenz. Seine Arbeitszeit verbringt er damit, in Wirtschaften einzukehren und die Toilette zu benutzen, er betritt Raststätten, um sich die Hände zu waschen. Ganze Autobahntage schiebt er ein, keine Pinkelmöglichkeit lässt er aus, betritt dann alle Kabinen, was nicht selten minutenlanges Warten auf das Ende eines qualvollen Stuhlgangs bedeutet, sich Pressgeräusche anhören zu müssen, krampfiges Hecheln der übergewichtigen Reisegruppen mit Verstopfung, bis endlich die ausstehende Kabine frei wird und betreten werden kann, Fäkalwolke, die sich langsam verflüchtigt. Er steht alles durch, eine gewisse Routine hat sich eingestellt. Er führt penibel Buch, jeder Besuch ist archiviert und bis ins Genaueste rekonstruierbar. Es sind konkrete Fragestellungen, mit denen er sich zu beschäftigen hat: Welche Seife kommt zur Anwendung? Selbstverständlich nimmt er Proben, hat alle bei professioneller Spurensicherung verwendeten Instrumente griffbereit, Einweghandschuhe, Reagenzgläser, Pipetten, viele Handseifen erkennt er mit einem einzigen Streifblick, die Flüssigseifen bei Prüfung ihrer Konsistenz zwischen Zeigefinger und Daumen, manche samenhaft zäh, andere knauserig verwässert, um beim Kunden zu sparen, der doch eigentlich König sein sollte. Einige Seifensorten lassen sich ganz ohne Hinschauen erriechen. Welche Waschbecken? Neumodische Auskotzungen übereifriger Architekturstudentinnen oder Mut zur klassischen Form? Ladislaus trägt immer ein Notizbuch mit sich, notiert wird alles, was auch nur am Rande von Interesse sein könnte. Welche Klomöbel? Er hat da schon Sachen gesehen, die würde ein Laie gar nicht für möglich halten. Es sind nicht immer Nobelhotels, die es zu begutachten gilt, auch in den versifftesten Drecklöchern muss er sich herumtreiben. Nichtsdestotrotz liebt er seinen Beruf. Das Toilettentesten erfordert Auffassungsgabe, Gespür und Genauigkeit, es wird einem alles abverlangt. Man entwickelt sechste Sinne, erweitert das Sensorium für Zwischenmenschliches. Ladislaus Kampf muss herausfinden, was auf diesem Sektor angesagt ist, welche Sünden werden verbrochen, welche neuen Ideen knospen auf? Wie schafft es die Abteilung der Firma, auch weiterhin am Puls der Zeit zu sein? Ist die selbstreinigende Kabine tatsächlich die Richtung, in die es geht, ein nicht mehr aufzuhaltender Trend? Ladislaus Kampf ist ein Luxus, den man sich leistet. Würde das Wegrationalisieren beginnen, seine Stelle wäre eine der ersten, die es abzuschaffen gälte. Er ist ein Freigeist, von dem man sich erhofft, frischen Wind in gestockte, weil sich bewährt habende Strukturen einimpfen zu können. Seine Berichte werden selten gelesen, dafür einzelne Zeilen zitiert, die man sich eilfertig herauspickt, Volltextsuche sei Dank, wenn in der Entwicklungsabteilung ein Standpunkt untermauert werden will. Er ist, soweit er weiß, weltweit der einzige Toilettentester und Waschraumexperte. Branchentreffen hat es nie gegeben, auf die Gründung einer eigenen Gewerkschaft ist vergeblich zu warten.